Es gibt einige Dinge, die wir alle als selbstverständlich annahmen, bevor die Flüchtlingskrise in den Brennpunkt der Medien und Politik geraten ist. Inzwischen haben jedoch mehrere Politiker und politische Parteien in Europa unverhohlen die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 in Frage gestellt. Darin haben sich über 145 Länder verpflichtet, Menschen zu beschützen, die verfolgt werden, auch aus religiösen Gründen, und die den Schutz ihres Landes nicht mehr haben. Einige verlangen nun, wir sollen jetzt einfach aufhören, Menschen aufzunehmen, die Schutz suchen. Andere fordern, dass nur Menschen, die als Christen verfolgt werden, in christlichen Ländern Schutz finden sollen (siehe FAQ 7). Die Krise stellt unsere politischen Werte in Frage, und auch die Prinzipien von Freiheit, Menschenwürde, Rechtsgleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Respektierung der Menschenrechte, darin eingeschlossen auch der Schutz von Minderheiten.
Evangelische Christen sind überzeugt, dass die Religionsfreiheit für alle gelten muss. Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit und Glaubensfreit sollen, wie alle global anerkannten Menschenrechte (einschliesslich dem Recht, vor Verfolgung geschützt zu werden), von allen und überall respektiert werden. Diese Rechte und Freiheiten sind verbunden mit unserem Glauben, dass alle Menschen, obwohl sie unvollkommen sind, nach dem Bild Gottes geschaffen sind und eine unveräusserliche Würde besitzen. So sehr Gott diejenigen sucht und rettet, die verloren sind, so ruft er die Menschen auch dazu auf, ihn (freiwillig) zu suchen und zu finden. Erzwungene Anbetung verabscheut er.
Politische und religiöse Freiheiten gehören zu den Gründen, weshalb Vertriebene nach Europa ziehen und nicht in andere Regionen. Das Verständnis von Religionsfreiheit und Menschenrechten muss sich nach den universellen Prinzipien richten. Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion oder des Glaubens sind allgemeingültige Prinzipien und müssen für alle Menschen gleichermassen gelten. Das Sichtbarmachen (Darstellen) in der Öffentlichkeit von Religion und Glaube (darin eingeschlossen ist der Ausdruck von weltanschaulichen Überzeugungen und das Verhalten gemäss dieser Überzeugungen) kann im nationalen oder lokalen Kontext reguliert werden. Verbote des Ausdrucks gewisser Glaubensformen sollte allerdings nur in sehr restriktiven Fällen geschehen: etwa dort, wo eine ernsthafte Gefahr besteht, wie Drohung, Aufruf zu Gewalt oder erwiesene Gefahr für die Rechte und die Sicherheit von anderen Menschen. Glaubensformen sollten nicht nur deshalb verboten werden, weil sie als “extrem”, “radikal”, “fundamentalistisch” oder “fremd” wahrgenommen werden, gleich welche Religion oder welcher Glaube dahintersteckt. Mein Glaube und Verhalten kann nämlich von jemand anderem immer als extrem wahrgenommen werden.
Vielfalt ist jedoch eine Herausforderung und verlangt eine gute Führung. Die alte und neuere Geschichte Europas ist eine offenkundige Erinnerung daran. Gewiss, man könnte argumentieren, dass die schlechte Handhabung von Vielfalt in lokaler und nationaler Politik zu sehr komplexen Herausforderungen für die öffentliche Ordnung geführt hat. Die Integration, oder besser die Einbeziehung, von den in jüngster Zeit angekommenen Migranten und deren Kinder ist eine der drängendsten Herausforderungen. Innerhalb dieser Bemühungen ist es für Christen wichtig, dass sie eine Kultur der Gastfreundschaft hochhalten. Das bedeutet, dass sie die Kultur und die Würde der anderen anerkennen, und gleichzeitig von allen verlangen, dass sie die allgemeingültigen Regeln einhalten.
Ein grosser Teil dieser Fragen kann nicht mit Gesetzen geregelt werden. Zusammen mit anderen in unseren Gruppierungen müssen Christen, sowohl als Einzelpersonen als auch in der Gemeinschaft, die eine Kultur von Respekt und Wertschätzung pflegen. Damit schaffen sie für Neuankömmlinge und Niedergelassene die Voraussetzung, miteinander in Harmonie zu leben, trotz ihrer Unterschiede. Für viele Menschen sind der Glaube und religiöse Überzeugungen der wichtigste Teil ihrer Identität. Wenn man diese zurückweist – unabhängig davon ob diese Überzeugungen wahr oder falsch sind, fördert dies oft Feindschaft und Hass.
Genauso wie alle Flüchtlinge ihre religiöse Freiheit geschützt haben sollten, sollten sie auch verstehehen, dass die religiöse Freiheit für alle gilt und dass sie in Europa diese Tatsache akzeptieren müssen. Das kann für einige Muslime eine herausfordernde Tatsache sein. Aus Flüchtlingslagern gibt es tatsächlich beunruhigende Geschichten über die Belästigung von Nichtmuslimen. Und viele Muslime finden es schwierig zu tolerieren, dass andere Muslime die Möglichkeit in Betracht ziehen, den Islam zu verlassen.
Christen sollten von den Behörden verlangen, zu gewährleisten, dass die Religionsfreiheit, einschliesslich das Recht, den Glauben zu wechseln, in Migranten-Gemeinschaften aufrechterhalten wird. Und dass diese auch in einer positiven Weise sowohl den Erwachsenen als auch in den Schulen unterrichtet wird. Wo nötig, müssen diejenigen Schutz erhalten, die in Gefahr sind, wegen ihres Glaubens verfolgt zu werden, seien es Christen, Jessiden, verschiedene Bekenntnisse des Islam oder Menschen eines anderen Glaubens.
Christen können helfen, indem sie Gelegenheiten schaffen, dass Menschen verschiedenen Glaubens in gemeinsamen Aktivitäten zusammenkommen (Sport, Kultur, Mahlzeiten, etc). Sie können helfen, indem sie gegenseitigem Verständnis ermutigen und in den Gesprächen über den eigenen Glauben sensibel sind. Wenn christliche Flüchtlinge mit muslimischem Hintergrund in ihre Kirchen kommen, sollen die Kirchenmitglieder auch verstehen, dass diese unter grossem Druck stehen können und sie sollen grundsätzliche Sicherheitsmassnahmen berücksichtigen, das heisst zum Beispiel keine Fotos von ihnen zu machen.